1. ... des Städtchens Sepytsch seit ihrer Ansiedlung im Ural-Gebiet ...Forschungen zu Lebensweise und Überlebensstrategien der russischen Altgläubigen seit der Loslösung vom Moskauer Patriarchat in der Mitte des 17. Jahrhunderts erleben in den letzten Jahren eine neue Blüte. Was zuvor als Spezialfeld für wenige Eingeweihte galt, ist durch neue Fragen nach dem Anteil der Altgläubigen an der wirtschaftlichen Entwicklung Russlands und seinem Anschluss an die Moderne für eine breitere Leserschaft interessant geworden.[1] In diesen Zusammenhang betten sich auch zwei Monographien ein, die beide als Fallstudie angelegt sind und zwei Altgläubigen-Siedlungen – eine in der Region Perm auf der europäischen Seite des Ural, die andere unweit des Baikalsees an der Grenze zur Mongolei – untersuchen. Beide Autoren haben viel Zeit am Ort ihres jeweiligen Untersuchungsgegenstandes verbracht und können daher eine beeindruckende Materialfülle präsentieren. In Anspruch und Zuschnitt gehen beide Werke jedoch stark auseinander.
2. ... am Beispiel des Dorfes Bolschoi Kunalei ...
Etwas sperrig in der textlichen Einbindung, gleichwohl jedoch faszinierend lesen sich die Ausführungen über eine besondere Allianz der „Ältesten“ mit Vertretern des sowjetischen Staates: Seit den späten 1960er-Jahren kamen so genannte Archäographen auf der Suche nach alten Schriften und frühen Drucken, also materiellen Zeugen „russischer Tradition“, in die Dörfer und Siedlungen der Altgläubigen. Diese oft kritisch eingestellten sowjetischen Intellektuellen verhandelten dabei in zunehmendem Maße auch ihre eigene nationale Identität jenseits des parteistaatlichen Auftrages. Nach anfänglichem Misstrauen konnten die sowjetischen Forscher mit ihren profunden Text- und religiösen Sachkenntnissen, großem Einsatz und Respekt für die „Ältesten“ persönliche Bindungen aufbauen. Da sie gegenüber den lokalen Sowjetorganen zudem als Patrone für ihre Informanten und Objektgeber auftreten konnten, profitierten auch die „Ältesten“ von dieser Verbindung.
-ah-Wer sich also auf eine weit ausholende Untersuchung und Darstellung einer Altgläubigen-Gemeinschaft über einen Zeitraum von fast drei Jahrhunderten einlassen mag, wird bei Rogers faszinierende Beobachtungen und Schlüsse finden können. Wer hingegen wissen will, wie viele Pferde, Kühe und Ackerland der Bauer Kowaljow im Dorf Bolschoi Kunalei seinem jüngsten Sohn vererbte, mag dies bei Eva Maeder nachlesen.