Skandal am Opernhaus in Novosibirsk

[Norbert]

In Novosibirsk machen seit etwa einem Jahr irgendwelche orthodoxen Christen Spuk. Erst haben sie diverse Konzerte - meist Heavy Metal - zu Skandalen stilisiert. Demonstrationen dagegen, Schlägereien vor den Konzerthallen, etc. - immer mit dem Ziel, dass die Konzerte (die zuvor nie jemanden gestört haben) letztendlich verboten werden.

Nun haben sie sich ein modernes Stück des Opernhauses herausgepickt, welches wohl angeblich religiöse Gefühle beleidigt. Demonstrationen, Kampagnen, Anzeigen. Wohlgemerkt haben Gerichte inzwischen sowohl den Regisseur als auch das Opernhaus entlastet. Auch wurden inzwischen diverse Szenen entschärft, um den Skandal zu beruhigen. Aber dennoch hat der Moskauer Kulturminister am Wochenende den Direktor der Oper entlassen. Obwohl sich die gesamte Kulturszene streng dagegen ausgesprochen hat.

Ich bin nicht genau im Bilde, wie dieses Stück die Gefühle beleidigen soll, jedoch sagt die lokale Presse, dass es totaler Schmarrn wäre - im Gegenteil, das Christentum würde positiv gezeigt und diese Aktivisten haben offensichtlich das Stück überhaupt nicht gesehen.

Immer mehr Leute - das zeigt sich allein an den Kommentaren unter den Artikeln zu diesen Themen in der Presse - machen sich ernsthaft Sorgen, wieso diese Aktivisten plötzlich ein solches Gehör finden. Wer das initiiert und wohin es führen soll. Ganz eigenartige Geschichte, ehrlich! (Auch wenn ich kein Fan von modernem Theater bin.)

[klaupe]

Modernes Theater ist mitunter sehr gewöhnungsbedürftig.
Ich bevorzuge die Klassiker und zwar in der Originalfassung. Auch da bin ich konservativ, kann aber mit dem Makel leben.

Nachdem in Moskau Kirche und Staat ein herzliches Bündnis zu gegenseitigem Nutzen eingegangen sind, kann es nicht wundern, wenn der lange Arm des Moskauer Patriarchats via Regierungsstellen bis in die Provinz reicht.

Salamitaktik, um immer mal wieder zu zeigen, wer das Sagen hat und wo es langzugehen hat.

Im übrigen, in der BRD war es hier ähnlich und Adenauer und die Bischöfe zogen stramm an einem Strang.
Dafür machten dann die Pfarrer von der Kanzel Wahlwerbung für die "christliche" Partei und wetterten gegen die roten Teufel.

[domizil]

... man sollte vielleicht noch ergänzen, dass es sich bei diesem aktuellen Theaterskandal um das Stück "Tannhäuser" von Richard Wagner handelt.

http://de.wikipedia.org/wiki/Tannh%C3%A ... f_Wartburg

Ein, m.M.n. ziemlich schwerer Stoff, dazu noch von Richard Wagner!

Uwe Niemeier

[klaupe]

... man sollte vielleicht noch ergänzen, dass es sich bei diesem aktuellen Theaterskandal um das Stück "Tannhäuser" von Richard Wagner handelt.

Da habe ich gerade in den letzten Tagen etwas im TV gesehen.

Etwas mehr Fleisch im Angebot, als bei unserem Metzger!

[Norbert]

... man sollte vielleicht noch ergänzen, dass es sich bei diesem aktuellen Theaterskandal um das Stück "Tannhäuser" von Richard Wagner handelt.

"Тангейзер", "Тангейзер", "Тангейзер" ... jeder erzählt Dir irgendwas von diesem "Tangeyser" ... wie soll man denn da auf "Tannhäuser" kommen. Ganz ehrlich ... ich habe es nicht bemerkt, dass es um Wagner geht.

[domizil]

Etwas mehr Fleisch im Angebot, als bei unserem Metzger!

... so wie ich verstanden habe, geht es in dem Stück um den Konflikt zwischen weltlichen und geistigen/geistlichen Interessen. Egal wie sich der Hauptakteur entscheidet, eine der beiden Seiten bleibt "auf der Strecke". Und wir reden ja hier über die "Russisch-Orthodoxe Kirche", welche bekannt ist für Konservatismus.

Die Kirche ist in vielen Staaten eine sehr einflussreiche, (moralische) Instanz. Warum auch nicht, wenn es eben der Entwicklung der Gesellschaft dient. Und die Russisch-Orthodoxe Kirche in Russland hat großen Zulauf und das der Staat auf Befindlichkeiten der Kirche reagiert - für mich nachvollziehbar.

Uwe Niemeier

[Norbert]

Uwe, der Skandal ist ja aber, dass die Mehrheit der Novosibirsker und sogar die Gerichte das Stück als neutral wahrgenommen habe. Und der Regisseur hat darüber hinaus trotzdem reagiert und das Stück weiter entschärft. Aber dennoch greift Moskau ein und feuert den Direktor, der zuvor 15 Jahre lang gute Arbeit geleistet hat.

Irgendetwas braut sich da zusammen, was mir Angst macht.

[domizil]

... ja, ich bin im Bilde und habe die Berichterstattung darüber von Anfang an verfolgt. Aber bisher hatte es sich um ein "regionales" Problem gehandelt und deshalb habe ich es nicht aufgegriffen. Warten wir also ab, ob es ein regionales Problem bleibt, denn es ist schon etwas untypisch, dass ein Theaterangestellter durch einen föderalen Minister entlassen wird. Wenn schon entlassen wird, dann gibt es noch Entscheidungs-Zwischenstufen (Bürgermeister, Gouverneur, föderaler Verwaltungsbezirk).

Uwe Niemeier

[Wladimir30]

Keine Ahnung, was da in Novosibirsk los ist. Mich würde aber sehr wundern, dass die offizielle РПЦ dahinter steht.

Es gibt ja sehr viele Sekten, die sich um Dunstkreis der offiziellen Kirche tummeln. Nein, nicht so Blüten wie Scientology u.ä., sondern Sekten, die von sich behaupten, mit beiden Beinen fest auf dem Fundament des Christentums zu stehen.

Merkwürdig ist aber die Resonanz und die Wellen, die es schlägt. Wenn ich mir z.B. vorselle, dass in Wladimir irgendwas vergleichbares aufgeführt wird, und dass dann der Direktor auf order aus Moskau abberufen wird, nein, da steckt mehr dahinter. War der abgesetzte Direktor politisch aktiv?

[domizil]

War der abgesetzte Direktor politisch aktiv?

... davon ist nichts bekannt. Zumindest ist er nie öffentlich in Erscheinung getreten. Der Theaterdirektor ist ein oft prämierter Kulturschaffender.

Die Aufführung des modernisierten Theaterstückes fand bereits im November 2014 statt und sorgt seit dem für Wellen. Die russische Staatsanwaltschaft hatte bereits Anklage gegen ihn erhoben, diese wurde aber vom Gericht zurückgewiesen, woraufhin die Staatsanwaltschaft Protest einlegte.

Der neue Direktor des Theaters ist der Direktor des "Michailowsk-Theaters" aus St. Petersburg. Ist schon interessant, dass ein Direktor eines Theaters aus der Kulturhauptstadt Russlands in ein Provinztheater wechselt (... Entschuldigung Norbert, ist nicht persönlich gemeint, Kaliningrad ist noch viel mehr Provinz).

Uwe Niemeier