Kasachstan

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Norbert
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Kasachstan

Beitrag von Norbert »

Was geht denn gerade in Almaty und Astana ab?!

https://www.rbc.ru/politics/05/01/2022/ ... 392ca4369e
https://www.spiegel.de/ausland/kasachst ... 2cb3fe8066

Varianten gibt es einige, hier meine Top-3:
1. Tokaev will keine Marionette Nazarbaevs mehr sein und die alten Strukturen bereinigen - Erdogan hat gut vorgemacht, dass gescheiterte Putschversuche gut zum Aufräumen taugen
2. Moskau will den Einfluss auch im Süden wieder ausdehnen
3. Washington will auch in Zentralasien mitspielen
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saransk
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Re: Kasachstan

Beitrag von saransk »

eventuell spielt auch eine gewisse "Unruhe" in der Bevölkerung der einen oder anderen Seite in die Hände.
In Tunesien gingen damals die Unruhen auch wegen gestiegener Brotpreise aus der Bevölkerung hervor, bis die üblichen Verdächtigen sich dies zu Nutze machten.
kamensky
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Re: Kasachstan

Beitrag von kamensky »

Die ganze Situation ist sicherlich nicht "nur" auf gestiegene Gaspreise abzuschieben. Da spielen bestimmt noch einige andere Faktoren mit. Und wen die Elite das "Arschwasser" ueberkommt und "Reissaus" nehmen muss um ihre "gestohlenen und ungerechtfertigte Bereicherungen" noch schnell https://www.finanz.ru/novosti/aktsii/el ... 1031079713 in Sicherheit zu bringen, dann ist dies ein klarer Beweis fuer den teilweise sozialen Unmut in der Bevoelkerung.
ATTN @all: Ich bin weder der Verfasser noch ein Redaktionsmitarbeiter von der/den vorstehenden Verlinkung/en.
Marco
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Re: Kasachstan

Beitrag von Marco »

Meiner Meinung nach:
Um mal wieder Bill CLinton zu zitieren: it's the economy stupid
Die UNruhen sind mMn entstanden, weil es den Leuten nicht so gut geht und nun ist hat das Fass übergelaufen. In Belarus würde Luka auch noch komfortabler regieren, wenn er eine bessere Wirtschaftspolitik gemacht hätte.
Und die Menschen haben ja sonst kein Ventil um ihren Unmut mal loszuwerden

zu Norberts Top 3
1. Kann sich TOgaev zunutze machen, das er das Ganze orchestriert hat glaube ich aber nicht, denn dann würde man seinem SIcherheitsapparat mehr trauen. Denn für so einen autoritären Staat ist das eine Bankrotterklärung, ausländische Truppen zur Hilfe zu rufen. ZUdem gibt es einen Unterschied zu Erdogan: Erdogan war zum Zeitpunkt des Putsches populär, was man von der Kasachischen Machtelite wohl nicht sagen kann
2. Der Protest ist einfach zu dezentral und wenn dann würde es wohl wieder über das alte Muster laufen: DIe Russen werden unterdrückt, also müssen wir denen mal zur Hilfe eilen. Ich denke, RUssland würde keinen Nebenkiregsschauplatz absichtlich aufmachen, wo sie gerade an der Grenze zur Ukraine ihr Militär auffahren
3. Dazu müsste es eine zentrale Oppositionsfigur geben, die das Land in RIchtung USA lenken könnte. Und die ist weit und breit ncht zu sehen. UNd die Bevölkerung müsste anti russisch eingestellt sein, was ich nicht so sehe. Zudem konzentrieren sie sich zur Zeit auf den Indo Pazifik und China.
Axel

Re: Kasachstan

Beitrag von Axel »

Mindestens 12 tote Polizisten laut Regierungssprecher. Unter den Demonstranten gibt es mittlerweile auch dutzend Tote, weil das kasachische OMON mit scharfer Munition auf die (teils gewalttätigen) Protestierenden schießt. Lage insgesamt unübersichtlich, da das Internet abgeschaltet ist, es gibt aber laut aufgenommen Twitter-Videos definitiv Tote und davon nicht wenige. Mich erschüttert diese Entwicklung, weil ich vor einigen Jahren selbst in Kasachstan war und so ein Ausrasten nicht erwartet hätte. Kann die angestaute Wut verstehen, bin aber für ein Protestieren ohne Gewalt.
Marco hat geschrieben: 06 Jan 2022, 13:36 DIe Russen werden unterdrückt, also müssen wir denen mal zur Hilfe eilen.
Und wie es der Zufall will, wurden auch schon Russische "Friedenstruppen" auf Anfrage Tokaevs entsandt.
So wie ich Kasachen kenne, wird dieser Schritt auch nicht viel auf Gegenliebe stoßen. Denn die Wut der Kasachen auf ihre Regierung ist ja nicht unberechtigt, nur die Art, mit der der Protest derzeit geführt wird, ist falsch. Aber derzeit gibt es sowieso keine verlässlichen Informationen, wer wen wirklich attackiert. Die Regierung hat alles an Nachrichtenkanälen, die nicht regierungstreu sind, gekappt. Dass dann russische Truppen geschickt werden, um die Demonstrationen im Keim zu ersticken, kratzt nur weiter an dem ohnehin schlechten Image Russlands unter Kasachen. Ich weiß aus erster Hand von meinen Aufenthalten, dass viele Kasachen die Russen im Land als Wolf im Schafspelz ansehen, weil viele sich nicht von Russlands revanchistischer Außenpolitik genügend distanzieren. Solche "Friedenstruppen" führen den Riss nur weiter in die Gesellschaft. Hier sieht man auch Putins Doppelspiel: Wenn die Ukraine die USA um Hilfe wie Waffen bittet, wird eine rote Linie überschritten; wenn Russland auf Anfrage von Tokaev Truppen verschiebt, ist das das natürlichste der Welt.
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saransk
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Re: Kasachstan

Beitrag von saransk »

Axel hat geschrieben: 07 Jan 2022, 00:54 Wenn die Ukraine die USA um Hilfe wie Waffen bittet, wird eine rote Linie überschritten; wenn Russland auf Anfrage von Tokaev Truppen verschiebt, ist das das natürlichste der Welt.
Diese doppelte Moral bei einigen ging mir auch gestern schon durch den Kopf.
Wobei in der Kreml-Presse (RT) sich die "Kommentatoren" mal wieder überbieten von wegen zweiter Maidan und sogar Aufrufen zu Lynchjustiz an den vom Westen gesteuerten "Terroristen"

Wobei die Lage bei den Deutschrussen, und die kommen ja eigentlich auch aus Kasachstan, auch nicht besser ist. Gestern noch mit einer Familie hier in Augsburg geredet. Das Univiertel heißt spöttisch ja auch "Klein_Moskau" weil hinter jeder zweiten Wohnungstür eine Familie aus Kasachstan lebt und auch die Infrastruktur (neben den ganzen Studentenkneipen) entsprechend ist. Deren Meinung unterscheidet sich auch nur marginal von derjenigen aus der Presse. Die Eltern plädieren, im Gegensatz zu deren volljährigen Kindern, auch ganz offen dafür, das Putin endlich wieder die alte Sowjetunion herstellen soll. Eigentlich sehr nette Leute mit denen man auch gut feiern kann, solange das gespräch nicht auf Politik trifft.
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saransk
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Re: Kasachstan

Beitrag von saransk »

Kam soeben als Schlagzeile auf der Weseite von RT.
"Kasachischer Präsident: "Banditen müssen vernichtet werden, und das wird in naher Zukunft geschehen" "
Eine solche Aussage hat nicht nur ein Gschmäckle. Das ist doch eigentlich schon ein Aufruf zu Mord und Rechtsbeugung.
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Norbert
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Re: Kasachstan

Beitrag von Norbert »

Die ersten Bilder aus Kasachstan erzeugten bei mir leider nicht den Eindruck, dass es hier um einen gepflegten politischen Austausch gehen soll. Da stürmten komische Gestalten mit Baseballschlägern Gebäude und setzten diese in Brand. Hier nun von staatlicher Seite einen friedlichen Meinungsaustausch zu erwarten, ist auch eine Utopie. Da störte mich auch als ich heute früh irgendwo in der deutschen Presse das Zitat einer kasachischen Passantin gegenüber einem AFP-Reporter las, sie wäre erschüttert, wie brutal die Polizei vorgehen würde. Also sorry, wenn Leute Regierungsgebäude stürmen und als erstes in Brand setzen ... wie soll ein Staat darauf reagieren?

Bei Amerika startete ein Abgesang an die Demokratie, als die Trumpisten vor einem Jahr das Kapitol stürmten. Zum Glück wurde da nichts in Brand gesetzt. Wenn doch, dann wäre das Militär aber auch sehr schnell wenig zimperlich gewesen - berechtigter Weise. Und fünf Tote gab es da ja wohl auch.

Aber in Kasachstan wird die Verteidigung der Regierungsgebäude innerhalb von zwei Tagen in einen Angriff auf die Zivilgesellschaft umgemünzt.

Natürlich sind die Ausgangsbedingungen verschieden. Die kasachische Regierung ist sicher weniger demokratisch legitimiert als die amerikanische. Das rechtfertigt aber nicht, dass wegen einer Gaspreiserhöhung die Anarchie ausbrechen sollte.
Axel

Re: Kasachstan

Beitrag von Axel »

Und dennoch folgt Tokaew dem Propaganda-Narrativ, diese Demos wären angeblich aus dem Ausland gesteuert, wohlwissend, die Wut hat sich erst durch die miserable Sozialpolitik der Regierung jahrelang angestaut. Die Gaspreise waren nur das i-Tüpfelchen. Und das Scheitern kaschiert man, indem man nun einen Schießbefehl gegen die wütende Meute erteilt und alle als "Terroristen" brandmarkt. 30 Demonstranten und 12 Polizisten sollen bislang tot sein, damit gehört dieser Aufstand zu den blutigsten Ereignissen der jünger Geschichte Kasachstans. Zweifelsfrei ein immenser Image-Schaden für das Land. Und die Regierung hat für mich schon verloren: Man scherrt alle über einen Kamm, bedient Propaganda-Narrative, ignoriert berechtigte Belange der Bevölkerung, stellt das Internet ab und erteilt nun auch Schießbefehl, den es selbst in den USA nicht gab, als die BLM-Bewegung dutzende Geschäfte ausraubte und vandalierte. Dass man am Ende noch auf exekutive Hilfe von außen angewiesen ist, bezeugt nur die Inkompetenz der Regierung Herr eigener Probleme zu werden.
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Evgenij
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Re: Kasachstan

Beitrag von Evgenij »

saransk hat geschrieben: 07 Jan 2022, 11:57 Wobei die Lage bei den Deutschrussen, und die kommen ja eigentlich auch aus Kasachstan, auch nicht besser ist.
OT:
Gemeint sind hier wohl die Russlanddeutschen... et al. (u. a. Dossier, zig Studienarbeiten, Dissertation(en), Buchprojekte etc.).
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