Boris Palmer

Das Politische Forum ist nur für "Debattanten" und Gäste sichtbar. Wer mitdiskutieren möchte, der muß sich der Gruppe der Debattanten anschließen. Eine Mitgliedschaft muß beantragt werden.
Josef Silberkant
Zar/iza
Zar/iza
Beiträge: 378
Registriert: 08 Mär 2023, 23:57
Wohnort: Moskau u. Nischni Nowgorod

Boris Palmer

Beitrag von Josef Silberkant »

Vor kurzem hat Boris Palmer, der umstrittene OB von Tübingen, seinen Austritt bei den Grünen und gleichzeitig eine Auszeit in der politischen Karriere bekanntgegeben. Der Hintergrund ist wohl, dass Palmer bei einer Veranstaltung an der Uni Frankfurt mehrmals einen Ausdruck benutzt hat, der von manchen als Beleidigung der Schwarzen wahrgenommen wird.
Was haltet ihr von Boris Palmer? Was meint ihr, was hat es mit der Auszeit auf sich?
Audiatur et altera pars
Benutzeravatar
Norbert
Globaler Moderator
Globaler Moderator
Beiträge: 13751
Registriert: 30 Jun 2006, 11:25
Wohnort: Nowosibirsk, Dresden
Kontaktdaten:

Re: Boris Palmer

Beitrag von Norbert »

Der Grund war noch ein wenig anders, man kann seine eigene Erläuterung dazu lesen.

In früheren Äußerungen hat Palmer mehrfach bewusst die Grenzen ausgetestet. Er ist ja bekannt dafür, seine Meinung zu sagen und dabei auch Skandale in Kauf zu nehmen. Im Grunde sind seine Aussagen in den meisten Fällen auch berechtigt, nur oft sehr provokativ vorgebracht.

Im konkreten Fall war er bei einer Veranstaltung eingeladen, wo er wieder einmal seine Positionen erläutern sollte. Dabei wurde er damit konfrontiert, warum er hier und da die Bezeichnung Neger verwendete. Final wurde er dann von mehreren Besuchern in Sprechchören als Nazi bezeichnet, woraufhin er selbst polemisch wurde. Er bezog sich auf seinen Vater, der einst gegen Judensterne gekämpft habe, weswegen ihm sehr wichtig sei, dass er kein Nazi ist. So eine klassische Palmer-Argumentation - man werfe ein paar provokative Begriffe wie Nazi, Neger und Judenstern in einen Topf, formuliere es gerade an der Grenze entlang ... und wundere sich über die woke Bubble, die einen daraufhin verteufelt. Er habe sich mit Trägern des Judensterns gleichgesetzt. Hat er nicht, und dennoch hat er sich durch die Wahl der Worte eben doch genau den Shitstorm provoziert, an dem er nie Schuld sein wollte.

Seine persönliche Erklärung dazu finde ich sehr gut:
Eines ist mir klar: So geht es nicht weiter. Die wiederkehrenden Stürme der Empörung kann ich meiner Familie, meinen Freunden und Unterstützern, den Mitarbeitern in der Stadtverwaltung, dem Gemeinderat und der Stadtgesellschaft insgesamt nicht mehr zumuten.

Die jüngsten Ereignisse in Frankfurt haben mir gezeigt, dass die Verbindung zwischen den schlimmsten Eklats der letzten Jahre nicht das Internet ist, sondern die Situation: Wenn ich mich zu Unrecht angegriffen fühle und spontan reagiere, wehre ich mich in einer Weise, die alles nur schlimmer macht.
Am Ende ist er ein genialer Populist, der seine Grenzen bislang nicht erkennen wollte. Dass er bei der letzten Wahl in Tübingen gegen zwei linke Kandidaten (SPD und Grüne) dennoch 52 % holte, zeigt, dass er sagt, was die breite Mehrheit eben doch denkt und unterstützt. Aber im Gegensatz zur AfD bekommt er 52 %, weil er nicht nur populistisch sondern daneben grundsätzlich solide und glaubwürdig ist, Dinge wirklich bewegt. Ein guter Grüner, der Sachen zunächst hinterfragt und nicht stupide gemäß Glaubenssätzen umsetzt.

In diesem Sinne hoffe ich, dass die Auszeit genau so gemeint ist, wie er sie angekündigt hat. Ein klein mehr Besonnenheit und weniger Hitzköpfigkeit, und er wäre einer der besten deutschen Politiker - meine Meinung.

(Sein Vater war ein ähnlich widerspenstiger Zeitgenosse und saß dafür sogar längere Zeit ein.)
arghmage
Zar/iza
Zar/iza
Beiträge: 1286
Registriert: 24 Aug 2010, 16:15

Re: Boris Palmer

Beitrag von arghmage »

Nun haben die Grünen einen der letzten Politiker mit Rückgrat verloren (ok mir fällt grad niemand anders ein aber egal). Palmer kann aber auch gut ohne die Grünen und in Tübingen läuft es ja nicht so schlecht (und das liegt eben an Palmer und nicht an den Grünen).
Mir könnte fast schon wieder übel werden, wenn ich daran denke, daß unser Land, eine (ehemals) weltweit führende Industrienation, von Wirbel- bzw. Hirnlosen wie Lang, Nouripour & Co (+Verwandtschaft) regiert wird.

Was ich etwas befremdlich finde, daß man überall fröhlich "N-Wort" sagen kann, Neger aber nicht, wobei doch jeder weiß, was N-Wort heißt. Was macht es denn anders, ein Wort durch ein anderes zu substituieren, wobei die Bedeutung aber gleich bleibt? Ok der Kontext ist freilich anders aber irgendwie Ist das doch alles nur noch scheinheilig.
Josef Silberkant
Zar/iza
Zar/iza
Beiträge: 378
Registriert: 08 Mär 2023, 23:57
Wohnort: Moskau u. Nischni Nowgorod

Re: Boris Palmer

Beitrag von Josef Silberkant »

Also, ich finde, es ist grundsätzlich falsch, Palmer für einen Rassisten/Nazi zu halten, vor allem, weil er ja selber Jude ist. Es stimmt schon, dass er sehr exzentrisch ist und seine Gegner häufig provoziert (so wie es vor kurzem in Frankfurt der Fall war), aber das bringe ich immer mit seiner schwierigen Kindheit in Verbindung. Ich glaube, es ist ihm selbst sogar bewusst, dass er zu emotional ist, deshalb nimmt er auch die Auszeit, um sich vor allen Dingen psychisch zu erholen.
Nichtsdestotrotz ist er ein sehr erfahrener und amtsfähiger Bürgermeister, was seine vorbildliche Klimabilanz sowie der Weg Tübingens durch die Pandemie auch beweisen. Klar, der ist so, wie ein grüner Realo sein sollte, und spricht unbequeme Fakten aus, wenn es um Migrationspolitik geht, aber seine Kritik läuft nicht so wie bei den Rechten auf das aus der Zeit verfallene „Ausländer raus!“-Motto hinaus, sondern er erklärt halt einfach als jemand, der die Lage vor Ort kennt, wo den Kommunen der Schuh drückt. Wenn man mich jetzt fragen würde, wie der kompetenteste Politiker Deutschlands heißt, würde ich ganz klar antworten: Boris Palmer.
Audiatur et altera pars
Benutzeravatar
Norbert
Globaler Moderator
Globaler Moderator
Beiträge: 13751
Registriert: 30 Jun 2006, 11:25
Wohnort: Nowosibirsk, Dresden
Kontaktdaten:

Re: Boris Palmer

Beitrag von Norbert »

Natürlich ist er kein Nazi. Leute die dies sagen, sind ziellose Weltverbesserer. Verkopfte Theoretiker.

Nur kann man auch nicht sagen, dass sich Palmer groß bemüht hätte, Konflikte zu vermeiden oder wenigstens zu deeskalieren. Damit steht er sich selbst im Weg und wird aus der Provinz nicht mehr herauskommen. Leider.

P.S.: Interessant, dass er zu Russland erstaunlich wenig sagt und die wenigen Aussagen eher dem Mainstream entsprechen.
Josef Silberkant
Zar/iza
Zar/iza
Beiträge: 378
Registriert: 08 Mär 2023, 23:57
Wohnort: Moskau u. Nischni Nowgorod

Re: Boris Palmer

Beitrag von Josef Silberkant »

Weshalb sollte er auch viel dazu sagen?
Schließlich ist er nur ein Kommunalpolitiker, und der gesamtpolitische Diskurs soll sich doch nicht ausschließlich um den Ukraine-Krieg drehen.
Was aber in Palmers Kompetenz liegt, sind die Beziehungen zu russischen Partnerstädten, aber da hat er eine ziemlich ausgewogene Haltung vorzuweisen (also, aus meiner Sicht). Hier ein aktueller Fall:
https://www.gea.de/neckar-alb/kreis-tue ... 76244.html
Audiatur et altera pars
Benutzeravatar
Tonicek
Zar/iza
Zar/iza
Beiträge: 1433
Registriert: 04 Jun 2017, 20:07
Wohnort: Grosny - Tschetschenien

Boris Palmer

Beitrag von Tonicek »

Norbert hat geschrieben:Interessant, dass er zu Russland erstaunlich wenig sagt und die wenigen Aussagen eher dem Mainstream entsprechen.
Zuletzt geändert von Tonicek am 08 Jun 2023, 14:38, insgesamt 1-mal geändert.
Go further, go slower. Experience more.
Benutzeravatar
Norbert
Globaler Moderator
Globaler Moderator
Beiträge: 13751
Registriert: 30 Jun 2006, 11:25
Wohnort: Nowosibirsk, Dresden
Kontaktdaten:

Re: Boris Palmer

Beitrag von Norbert »

Ich meinte mein "interessant" in einem anderen Zusammenhang: Ich hätte mir vorstellen können, dass er im Rahmen seines Realo-Pragmatismus die Eskalation der Parteispitze bezüglich Russland kritisiert. Aber dafür habe ich keine wesentlichen Anzeichen finden können.

(Die Frage der nicht-deutsch-aussehenden Fahrgäste der Deutschen Bahn hat auch nichts mit Kommunalpolitik zu tun und trotzdem haute er seine Meinung dazu öffentlichkeitswirksam raus.)
arghmage
Zar/iza
Zar/iza
Beiträge: 1286
Registriert: 24 Aug 2010, 16:15

Re: Boris Palmer

Beitrag von arghmage »

Norbert hat geschrieben: 04 Mai 2023, 12:22 (Die Frage der nicht-deutsch-aussehenden Fahrgäste der Deutschen Bahn hat auch nichts mit Kommunalpolitik zu tun und trotzdem haute er seine Meinung dazu öffentlichkeitswirksam raus.)
Wobei ich mich frage, was er sich dabei gedacht hat. Ist doch völlig Wurscht, wer in der Bahn fährt.
Und er hat da die Bahn-Werbung mit Nelson Müller und Nazan Eckes kritisiert ... beide in Deutschland geboren ... oder müssen alle Deutschen weiß sein?
Grad türkischstämmige Deutsche gibts es doch sehr viele, da fagt Palmer, welche Gesellschaft das abbilden soll? Evtl. sollte er mal in (einer beliebigen) Großstadt mit den Öffis fahren, da könnte er froh sein, wenn es nur Müller und Eckes wären ...
Aber gut, er ist eher narzisstischv eranlagt und provoziert gern, hat er ja mittlerweile auch selbst gemerkt.
Aber wenn die Arbeit als Bügermeister paßt ... da sind ja Taten wichtiger als Provokationen.
Benutzeravatar
Norbert
Globaler Moderator
Globaler Moderator
Beiträge: 13751
Registriert: 30 Jun 2006, 11:25
Wohnort: Nowosibirsk, Dresden
Kontaktdaten:

Re: Boris Palmer

Beitrag von Norbert »

Ich glaube es ging ihm da um die Frage: Muss Werbung, muss Journalismus, muss Politik moderner sein als die Realität? Und das ist eine gute Frage. Warum macht die Bahn Werbung mit Gesichtern, die nicht repräsentativ für den Fernverkehr sind - geht es um "cool sein" oder um vorauseilenden Gehorsam? Ich lehne mich nun sehr weit aus dem Fenster ... aber in Russland gibt es auch offiziell Pressefreiheit und dennoch weiß jedes Medium, "was sich gehört und was nicht". Wenn man zu viel schreibt, "was nicht", dann werden einem halt irgendwelche Steine oder Felsbrocken in den Weg geschmissen. Und sicher sind wir davon in Deutschland weit entfernt, aber wenn Du zuviel Heidi Klum und Dieter Bohlen im Programm hast weil es an sich gute Quoten bringt, dann wirft Dir eine recht kleine Bubble der Gesellschaft ziemlich große Brocken in den Weg. Und wenn in der Werbung nur Blondinen zu sehen sind, dann findet sich auch jemand, der das kritisiert. Der Weg des kleineren Widerstands ist es dann, halt pro forma ein paar Migranten in der Werbung unterzubringen ... auch wenn es mit der Realität gar nichts zu tun hat. Und genau das hat Palmer kritisiert. Warum auch nicht?

Aber am Ende wurde ihm dann vorgeworfen, er wäre dagegen, dass Minderheiten im Zug fahren. Keineswegs.

Natürlich fahren in der S-Bahn auch Minderheiten. Aber ich habe mich wenige Tage nach dem Skandal mal bewusst in einem ICE in Hessen umgeschaut - die Werbung entspricht eben wirklich nicht der Realität. Und das ist doch Quark, dass wir aus politischer Korrektheit etwas abbilden, was es so gar nicht gibt. Palmer hat - in seiner typisch provokativen Art - den Finger in diese Wunde gelegt. Und die getroffenen Hunde bellten.
Antworten

Zurück zu „Politisches Forum“